§ 4 BDSG vom Bundesverwaltungsgericht für europarechtswidrig eingestuft
Am 27.03.2019 hat das Bundesverwaltungsgericht den § 4 BDSG für nicht mit dem Unionsrecht vereinbar erklärt (BVerwG 6 C 2.18).
Was hat § 4 BDSG geregelt?
§ 4 BDSG regelt die rechtlichen Voraussetzungen bei der Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume. Demnach soll eine Videoüberwachung gerechtfertigt bzw. zulässig sein, wenn sie
- Zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
- Zur Wahrnehmung des Hausrechts,
- Zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegt Zwecke
erforderlich ist. Außerdem soll bei der Überwachung von öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen (Sport- und Versammlungsstätten, Einkaufszentren) und Fahrzeugen sowie öffentlichen Einrichtungen des Schienen, Schiffs- und Busverkehrs der Schutz von Leben, Gesundheit und Freiheit der dort befindlichen Personen als wichtiges Interesse gelten. Dieses Interesse ist eine Rechtfertigung für die Videoüberwachung.
Grundsätzlich wollte der Gesetzgeber mit dieser Norm auf die Gefahr von Amokläufen und Terroranschlägen reagieren, indem er es auch privaten Stellen ermöglicht, eine Videoüberwachung mit dem Schutz des Lebens und der Unversehrtheit von Dritten zu rechtfertigen.
Das Bundesverwaltungsgericht sah diese Rechtfertigung für private Stellen nicht gegeben und traf eine Entscheidung gegen § 4 BDSG.
Was wurde entschieden?
Im Kern ging es bei der Entscheidung darum, dass eine Zahnärztin Im Eingangsbereich ihrer Praxis eine Videoüberwachungskamera installiert hatte, die den Flur zwischen Eingangstür und Empfangstresen sowie einen Teil des Wartebereichs erfasst. Die zuständige Datenschutzaufsicht hat dementsprechend einen Bescheid erlassen, dass die Kamera den Empfangsbereich nicht mehr erfassen und nicht während der Öffnungszeiten aufnehmen darf. Diese Entscheidung hat die Klägerin angefochten. Alls dies geschah bereits im Jahr 2012, was bedeutet, dass das Bundesverwaltungsgericht den Fall nach der alten Rechtslage (dem BDSG alte Fassung vor dem 25.05.18) entscheiden musste.
Letztendlich konnte die Klägerin kein glaubwürdiges berechtigtes Interesse für die Überwachung aufzeigen, welches das Gericht überzeugt hätte. Eine Erforderlichkeit der Videoüberwachung war deshalb nicht gegeben, die Klage wurde abgewiesen.
Richtig spannend wird das Urteil jedoch erst in dem Teil, in dem das Gericht auf die Beurteilung der Zulässigkeit nach der neuen Rechtslage eingeht.
Als Rechtsgrundlagen für die Videoüberwachung wären nach der DS-GVO zunächst Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO (Berechtigtes Interesse) und Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e DS-GVO (Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse). Zunächst geht das Gericht hier auf die Zweite Möglichkeit ein.
Demnach kann eine Datenverarbeitung (Videoüberwachung) erlaubt sein, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt an den Verantwortlichen übertragen wurde.
Für die Zahnärztin kann Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e DS-GVO jedoch nicht gelten, da Sie weder eine öffentliche Stelle ist, noch von einer staatlichen Stelle die Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen bekommen hat.
Mit dieser Feststellung steht wiederum § 4 BDSG in Konflikt, der die Videoüberwachung auf nationaler Ebene regeln soll. Denn § 4 BDSG soll gerade die hoheitliche Aufgabe des Schutzes der öffentlichen Sicherheit durch Videoüberwachung in öffentlichen Räumen auf Private übertragen. Der Konflikt besteht darin, dass Erwägungsgrund 45 der DS-GVO verlangt, „dass es sich bei dem Verantwortlichen, der eine Aufgabe im öffentlichen Interesse oder in Ausübung öffentlicher Gewalt wahrnimmt, um eine Behörde oder um andere unter das öffentliche Recht fallende bzw. dem öffentlichen Interesse besonders verpflichtete natürliche oder juristische Person handelt“ (Hamburgischer Datenschutzbeauftragter). Diese Voraussetzung liegt bei der pauschalen Aufgabenübertragung an sämtliche private Einrichtungen, die öffentliche Plätze überwachen, gerade nicht vor.
Aufgrund dessen sieht das Gericht § 4 BDSG als unvereinbar mit Art. 6 Abs 1 S. 1 lit. e DS-GVO an. Somit verliert § 4 BDSG seine Anwendbarkeit, da europäisches Recht nationales Recht bricht.
Was sind die Folgen des Urteils?
Aus dem Urteil folgt, dass sich nur noch öffentliche Stellen und mit öffentlichen Aufgaben Beliehene auf § 4 BDSG als Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung berufen können. Für private Stellen kann § 4 BDSG nicht mehr herangezogen werden. Eine Kameraüberwachung muss nun vielmehr auf ein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO gestützt werden. Daher muss zukünftig ein gewichtiger Grund für die Videoüberwachung gefunden werden, durch den die Rechte und Freiheiten der gefilmten Personen nicht derart eingeschränkt werden, dass sie den Zweck der Überwachung überwiegen.
Da wir als Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung bisher auch immer Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f herangezogen haben und § 4 BDSG nur als „Auffangvorschrift“, wird sich diesbezüglich in unserem Vorgehen keine große Änderung ergeben. Es muss nach wie vor eine sinnvolle und nachvollziehbare Rechtfertigung für eine Videoüberwachung gefunden werden.