Das neue Leitentscheidungsverfahren – erstmaliger Einsatz am Beispiel des „Scraping-Komplex“
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim sozialen Netzwerk (Sog. Scraping) entschieden, dass Nutzer von Facebook allein aufgrund des Verlusts der Kontrolle über ihre Daten einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 100€ verlangen können.
Beim Kontrollverlust über seine personenbezogenen Daten handelt es sich um einen sog. immateriellen Schaden, den der Betroffene erleidet, ohne dass es zu einer konkreten Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen gekommen ist. Ursache des Verlustes der Kontrolle war ein Verstoß gegen die DSGVO; unbekannte Dritte hatten sich den Umstand zu Nutze gemacht, dass Facebook es in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglicht, dass dessen Facebook-Profil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden kann. Die unbekannten Dritten ordneten durch die in großem Umfang erfolgte Eingabe randomisierter Ziffernfolgen über die Kontakt-Import-Funktion Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab (sog. Scraping).
Der Datenschutzvorfall führte zu Massenklagen, weil personenbezogene Daten der Nutzer (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht) betroffen waren und dafür Schadensersatz beansprucht wurde. Über den „typisch“ für diesen Vorfall sich dargestellte Sachverhalt wurde am 18.11.2024 vom BGH erstmals im Leitentscheidungsverfahren entschieden.
Das Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahren ist am 31.10.2024 in Kraft getreten. Es dient der Vermeidung von Massenverfahren, welche eine immense Belastung für die Zivilgerichte darstellen, die solche massenhaften Einzelklagen zu bewältigen haben und durch das Gesetz entlastet werden sollen. Wichtig ist, dass es sich um gleichgelagerte (Verbraucher-) Ansprüche handelt wie es im Scraping-Komplex-Fall oder gleichgelagerten Sachverhalten wie z.B. dem Diesel-Skandal oder wegen unzulässiger Klauseln in Fitnessstudioverträgen.
Sind die in Verfahren gestellten Rechtsfragen bereits durch den Bundesgerichtshof (BGH) höchstrichterlich geklärt, können anhängige Verfahren an den Instanzengerichten, welche dieselbe Thematik betreffen, anhand dieser „Leitentscheidung“ ohne weiteres zügig entschieden werden.
Wichtig zu wissen ist, dass die Leitentscheidung keine formale Bindungswirkung entfaltet. Es dient lediglich als Richtschnur und Orientierung für die Instanzengerichte und die Öffentlichkeit, wie die Entscheidung gelautet hätte. Dies soll Rechtssicherheit geben und Gerichte von weiteren Klagen entlasten.
Für Sie bedeutet das: Augen auf bei Schadensersatzforderungen, die Ihnen gegenüber geltend gemacht werden Sollten sich diese auf das Urteil des BGH beziehen, heißt das noch lange nicht, dass Sie blind zahlen müssen. Das Leitentscheidungsverfahren dient der Orientierung für gleichgelagerte Fälle. Der bloße Verdacht auf den Verlust von personenbezogenen Daten bei Ihnen, führt für Betroffene nicht zwangsläufig zu einem immateriellen Schadensanspruch gegen Sie. Hier gilt: Lassen Sie derartige Vorfälle im Einzelfall durch Ihren Datenschutzbeauftragten prüfen, bevor Sie eine Zahlung der Forderung erwägen, welche ggf. hätte verhindert werden können.